Im Mai 2014 wurde von der Jury des sf-basar meine Kurzgeschichte

                'Barometz, Schutz und Schatz in Arborium' auf den

                                      1. Platz bei den Leseproben

gewählt. Das hat mich wirklich sehr gefreut ! Vielen lieben Dank ! Eure Ollivia

 

 

Es ist nicht einfach, das Traumland Arborium frei zu halten von Beeinflussungen durch die rationale Welt.  

 

Während ihres Studiums bekommt Lorelei bei dem Praktikum 'Phytopharmazie - Pflanzenmagie'  Einblick in die Arbeit einer 

Medizinischen Ambulanz mit Wunderblumen ... zauberisch und gefährlich.

Hier ist die Leseprobe von:

 

© Bild 'Barometz' von Ollivia Moore, Feder/Bleistift

 

Barometz, Schutz und Schatz in Arborium

Matten Hasenclever: Kräuterarzt mit lebendigen Hasenohren, wird überredet.

Dr. Edgar Ellenbogen: Physicus und Practicus,Vertreter der Wissenschaftlichen Heilkunde.

Destina: Weberin, benötigt die Wolle eines Barometz, um die Löcher in den Vorhängen zum Land Arborium zu stopfen, ansonsten dringt Faktum ein.

Kann einen Buhl-Trunck brauen.

Dafne: Seidelbast.

Lorelei: Undine, Ich-Erzählerin, Erstsemester.

Arborium: Verborgenes und Phantastisches Land der Bäume.

Barometz: Wundersames Wesen aus dem Pflanzenimperium - ein Lamm, aus dessen Leib Farnwedel sprießen. Begehrt, gesucht und von unschätzbarem Wert wird es gebraucht für einen Unsichtbarkeitszauber.

 

An diesem herrlichen Mittsommertag krochen die ersten  Sonnenstrahlen am Waldsaum in Arborium entlang und ließen die Rinde der Birkenstämme in blendendem Weiß erstrahlen. Matten Hasenclever, Famulus in Ausbildung zum Kräuterarzt zog sich einen Kittel über, er wirbelte herum, seine langen Ohren und die Schöße wehten. Matten schaute aus der Tür der Medizinischen Ambulanz, blinzelte in den frühen Morgen und betrachtete ein Wesen, welches mit seinem Bockshuf ungeduldig auf dem Waldboden scharrte. Hinter ihm standen weitere Patienten, die drängelten und schubsten.

Auch Dafne und ich waren hierher gekommen zum Praktikum ‚Phytopharmazie - Pflanzenarznei’ für das Studium zur Heilerin. Dafne rief die erste Patientin auf und sagte:

»Bitte nennen Sie Namen und Beruf.«

 

Eine junge Frau mit Ponyfransen und Sommersprossen wankte hustend herein. Regentropfen glitzerten in ihren Haaren.

»Ich heiße Maritt Hludana, Beruf: Gullveig, Seherin und nordische Elfe«, japste sie. Ihr Gesicht war verschwitzt. Sie hängte ihren pitschnassen Umhang, von dessen Kapuze ein Kuhschwanz herunterbaumelte, an einen Sonnenstrahl zum Trocknen und goss Wasser aus einem Gummistiefel - die Feuchtigkeit begann zu verdampfen und hüllte sie in flirrenden Dunst.

Matten blickte zu mir und sagte:

»Wasser ist doch dein Fachgebiet, oder?«Er deutete auf meinen feuchten Kleidersaum. Ich knetete nervös mit Zeigefinger und Daumen den Rand meines Gewandes und versuchte mich zu erinnern: Erkältung. Welche Pflanze hatte nasse Füße?  Dann kramte ich Mädesüßdolden und etwas abgeschabte Weidenrinde für einen Fiebertee aus einer aufgequollenen feuchten Schublade mit der Beschriftung Acethülsalicülblüthen.

»Danke«, keuchte das Mädchen.

 

»Bitte weiter«,sagte  Dafne. Sie ließ einen Mann mit einem kugelrund angefutterten Bauch eintreten. In großer Geste reichte er ihr eine Visitenkarte.

»Theodor Fortunatus - der Glücksbegabte«, las sie und fragte: »Euer Begehr?«

Salbungsvoll und mit volltönender Stimme erklärte er:

»Ich erhielt von meinen Eltern durch Sparen und Mehren ein ansehnliches Erbe. Außerdem schenkte mir Fortuna, die Botin des Schicksals, auf Weisung der Sterne ein nie leer werdendes Geldsäckel. Nun traf ich im Wald ein gar schönes Weibsbild. Ihren Versuchungen möchte ich mich ergeben, jedoch mein Geldsäckel vor ihr verbergen.«

Matten reichte ihm eine dornige Ranke.

»Hier, Smilax  … eine Merkurpflanze … Stachel - und Wehrwinde für die Hosentasche. Fühlt sich an wie Stacheldraht, so schnell fassen damit keine fremden Finger in die Börse. Sie gehorcht dem Befehl: Beuge dich Kletterranke, dem Zügel.«

»Habt ihr vielleicht auch noch ein Johannishändchen, das ich dort hineintun kann, auf das es noch mehr werde?« fragte der Patient geschäftsmäßig.

»Nein, denn wenn ich das hätte, müsste ich ja nicht hier arbeiten«,knurrte Matten genervt und schob ihn hinaus. Dafne lachte …

 

Dafne war stets sanft, rosig und anschmiegsam. An diesem Morgen umfloss ein gegürtetes dünnes Kleid in zartem blumenrosa ihre biegsame Gestalt und Matten betrachtete sie mit beseligtem Gesichtsausdruck.

 

Ein vierschrötiger Mann drängte die anderen Wartenden grob beiseite. Ungestüm platzte er herein und fing sofort an zu pöbeln. Um ihn herum wehte die Wolke eines betäubenden Rasierwassers. Matten musste niesen. Er kramte in seinen Unterlagen.

»Das ist Ernie Enurese … wo steht es denn  …  Löwenzahn  …  ich glaub, dem habe ich aus Versehen beim letzten Mal ein verkehrtes Medikament gegeben, ach hier …  Piß-en-lit. Und nun kann er das Wasser nicht mehr halten.« Matten blätterte eine Seite zurück.

»Früher hatte er schon einmal eine falsche Arznei: Kürbis - davon ist ihm das Ego geschwollen.«

Ernie dicht auf den Fersen lief eine Person mit einem Glöckchenhut.

»Kandidel, der Spaßmacher«, sagte er und verbeugte sich. Es plätscherte.

»Klingende Schellen, du hast mir auf die Schuhe gepinkelt«, schrie er und schlug Ernie mit seinem Spiegelzepter. Als Antwort drosch dieser ihm die Faust ins Gesicht. Sie prügelten sich. Matten boxte dazwischen.

»Für dich eine Packung Mistel - gegen Nasenbluten.« 

»Frechheit, ungehobelter Pinkel«, schimpfte Kandidel.

Matten reichte Ernie einen Schaft Meisterwurz.

»Das ist Haarstrang, Heilung bei Blasenschwäche und Bettnässen. Bitte nicht überdosieren, sonst  wachsen an Stelle der Kopfhaare Drahtlöckchen.«

 

Die Tür klappte auf. Ein Individuum mit geschniegeltem Aussehen kam federnden Schrittes hindurch. Seine Wange war verunziert durch einen Schmiss von einem Duell.

»Hallo, ich bin Doktor Edgar Ellenbogen. Facharzt für Rationale Phytotherapie und komme zu Ihrer Verstärkung.« Sein Blick fiel auf den Mistelbusch.

»Ach, Sie verwenden Mistelpräparate … wenn Sie mich fragen, reine Phantasterei und Aberglaube.«

»Das stimmt nicht, Mistel hilft«, nuschelte Kandidel mit blutverschmierter Nase und stopfte sich eine Mistelbeere in das Nasenloch.

Dr. Ellenbogen trug einen Stapel Fachbücher unter dem Arm. Zackig stellte er ein Mikroskop und ein scharfes Desinfektionsmittel auf den Tisch. Matten schielte auf den obersten Buchtitel. ‚Kompendium für Realisten - Desillusion und Entzauberung’.

Er hielt dem nächsten Patienten die Tür auf. Gebeugt schlurfte der Leidende herein.

»Malorchos Perdura. Beruf: Tagelöhner. Krankheit: Chronischer Burnout«, las ich aus der Krankenakte vor. Matten band ihm einen Kräuterstrauß.

»Eisenhut schützt vor Müdigkeit; Thymian speichert Sonne, bei Depression Energie für Motivation und Tatkraft«, murmelte er geschäftig.

Dr. Ellenbogen blickte von seinem Mikroskop auf:

»Ich behaupte, seine Diagnose lautet ‚Emotionaler Tod’. In dem Fall kann man eigentlich nichts mehr machen. Volkswirtschaftlich gesehen ist es besser, Sie harren einfach so aus bis zum Ende.«

Er reichte Malorchos verabschiedend die Hand.

 

Zur Frühstückspause gab es einen Teller mit belegten Semmeln. Matten biss in eine Möhre.

»Was verdienen Sie denn hier so?« Ellenbogen machte eine schwenkende Handbewegung.

»Ich arbeite immer so lange, bis ich mit dem letzten Patienten fertig bin. Dafür bekomme ich alles, was ich brauche, Essen und so weiter. Ich brauche auch nicht viel. Freizeit haben wir einen Sonntag im Monat und dann bewege ich mich gern draußen und gehe wandern.«

Ellenbogen schaute belustigt.

»Ach so, so, ein bisschen durch die Gegend hoppeln. Tja,  wem das reicht …«  Er schrieb eine Ziffer auf.

Matten fragte: »Wofür machen Sie das?«

Ellenbogen schaute in seinen Ratgeber ‚ Liquidation Medizinischer Leistung - Gebührenordnung für Fachbereich Gefühltes Expertentum’.

»L i q u i d a t i o n«, buchstabierte Matten und runzelte die Stirn. »Was ist das?«

»Für jede meiner Handlungen als Arzt schreibe ich eine Ziffer auf und dafür bekomme ich dann Geld.«

»Wieso das denn? Sie haben dem Patienten eben doch lediglich die Hand

geschüttelt !« 

»Tja. Das war eine mündliche Beratung: Ich habe ihn doch gefragt, wie es ihm geht

Matten starrte auf den Betrag und vergaß, weiter an seinem Brötchen zu mümmeln.

Ellenbogen sah abfällig auf den leeren Teller.

»Ich jedenfalls schufte hier nicht nur für ein Butterbrot und ein Ei. Sie wissen wohl gar nicht, was die Uhr geschlagen hat, Herr Kollege?«, fragte er und schob Mattens Lehrbuch ‚Magisches Kräuterwissen aus dem Garten der Gesundheit’ gleichmütig beiseite.

»Wozu denn auch? Nur der Dekan hat eine Blumenuhr, ein Blick aus dem Fenster und er weiß …« Ellenbogen blickte ihn beinahe mitleidig an und ging hinaus.

 

Im Ordinationszimmer zog die Weberin Destina nervös an den farbigen Fasern ihres herrlichen Gewandes, einem kunstvoll gewirkten Tuch mit kompliziertem Muster.

»Meine Barometzwolle ist alle«, jammerte sie.»Ich benötige diese Fäden aber dringend. Die Vorhänge zur Traumwelt haben Löcher und ich muss sie damit stopfen, um das Land Arborium vor Realität und Ignorantentum zu schützen.« 

Aufgeregt rang sie die spinnendünnen Hände.

»… es geht um solche Experten wie den Typen da draußen mit dem exakt gezogenen Scheitel. Die können sich jetzt hier einschleichen und sich lustig machen über unsere Werte. Wenn wir sie nicht aufhalten, zerstören sie unsere Welt und wir stehen am Ende mit leeren Händen da. - Heute ist Sommersonnwende, die einzige Nacht, in der man einen Barometz finden kann. Du musst mir helfen!«, forderte sie Matten auf.

»Einen Barometz suchen! Ich habe schon davon gehört. Es ist eine seltene magische Pflanze, schwer zu finden, wertvoll, und sehr sehr gut versteckt.«

Er deutete auf ein Florilegia-Tafelbild. Die Illustration zeigte ein wolliges Lamm, das weiche Vlies von Goldfäden durchwirkt, verborgen im Schatten. Geheimnisvolle Farnwedel sprossen aus seinem Rücken und entrollten sich in zierlichen Spiralen. Darunter stand: ‚Farnsporen und in Stoffe versponnene Wollefäden machen unsichtbar, aber es ist kein liebes Lämmchen und will nicht gefunden werden’.

Matten sagte zu Destina:

»Außerdem verstehe ich gar nicht, was du gegen Edgar hast. Er vertritt eine vernunftbetonte moderne Lehre - das klingt doch gut, oder? Er arbeitet auch sehr effizient und seine Karriere surrt nur so  …« Mattens Ohren pendelten. Destina bearbeitete ihn weiter:

»Du willst es anscheinend nicht begreifen  … ich brauche diesen Barometz - hast du denn wirklich nicht wenigstens ein paar Fäden von seiner Wolle?«

Matten holte ein Kästchen.

»Wir haben nicht mehr, was du gern hättest, aber ich glaube, hier war früher mal ein Barometz drin.« Er hob den federleichten Deckel mit der Aufschrift: ‚Staudigt und wolligt Kreutlein bringt goldgelen Samen’.

»Mein Vorgänger hat ihn mitgenommen und uns einen Zettel hinterlassen: Ich  gehe unsichtbar, denn ich habe Farnsamen bekommen. Seither haben wir den nicht mehr gesehen. - Manche wissen eben, wie sie es machen müssen …«, sinnierte er.

 

Draußen klappte Dr. Ellenbogen seinen Bestsellerschmöker ‚Erfolgreich und zufrieden durch Selbstwertgefühl’ zu. Er spazierte zu Dafne in die Rezeption und hielt ihr einen Vortrag über die Finessen der Ärztlichen Honorarabrechnung.

»Er behandelt nicht Patienten, sondern macht Umsatz«, zürnte Matten.

 

»Ellenbogen gefährdet die Naturheilkunde und jetzt ist er auch noch hinter Dafne her. Wenn du mir hilfst, bereite ich dir einen Liebestrank für deine Freundin, dann bist du ihn los«, versuchte Destina ihn zu locken.

Matten zog nachdenklich an einem Ohr. Er antwortete leise:

»Das fällt unter psychedelisch - aphrodisierende Substanzen, die sind verboten, außerdem gefährlich.«

»Psychoaktiv, ach wo!« Destina wurde ungeduldig.

Rastlos sinnend wanderte sie im Kreis umher. Dann öffnete sie mit einem raschen Schwung Mattens Vorratsschrank - und blitzschnell sprang ihr eine Pflanze entgegen. Das Gewächs entrollte eine feuchte schleimig-grüne Zunge. Es hechelte, leckte und besprühten sie mit klebrigen Speicheltröpfchen. Angewidert wich sie zurück.

»Iiiih, was ist das denn?« 

»Das ist Hauhechel -  sie bewacht unsere Vorräte vor Dieben.«

»Denk noch mal darüber nach.« Wütend wischte Destina sich die unappetitlichen Spuckefäden von ihrem faltigen Antlitz.

»Du bekommst Dafne und rettest die Zauberwelt.«

»Ich weiß nicht  …« Matten ließ die Ohren hängen und blickte unentschlossen zu Dafne am Anmeldetresen.

 

Dort lungerte ein Satyr. Breitbeinig ging er mit seinen behaarten Ziegenbeinen dicht neben mir her und drückte meinen Arm.

»Lassen Sie mich los!« Der Schurke drückte noch ein wenig fester. Er hatte einen ungepflegten Dreitagebart, sehr schlechte Manieren und strahlte eine wilde Urkraft aus.

Ächzend legte er sich auf die Behandlungsliege.

»Ich habe dieses gewaltig geschwollene harte Horn.«

»Verstehe, Sie benötigen ein Heilmittel gegen Jucken und Schwellung.« Matten reichte ihm einige Huflattichblätter.

Die Ehefrau rauschte herein und keifte:

»Er betrachtete eine Clitorea und es ist nicht sein Huf, der geschwollen ist !!!«

Matten zog die Nase kraus.

»Das sehe ich. Clitorea ternata – mit der rinnenden Tauperle, öffnet und schließt sich mit schmatzendem Geräusch. Das Gewächs ist ein Symbol für Schutz suchende Männer, ähnlich dem Frauenmantel Alchemilla, aber gewiss nicht so harmlos.«

Er wies auf eine Pictura, eine halb verborgene Abbildung hinter dem Giftschrank.

»Ganz allgemein gilt: Blüten sind sexuelle Organe, sie verkörpern unsere Gefühle und Leidenschaften. In natura ist mir diese Blume jedoch noch nicht begegnet, wo wächst sie denn?«

»In Nachbars Garten«, giftete die Gattin empört. Matten suchte nach einem Eintrag im ‚Magazin der Phantastischen und Schwülen Blumen’.

»Hier steht: Bei Männern erfolgt die Wirkung durch die Augen.« Er eilte nach draußen und als er wiederkam, verschwand er vollkommen hinter einem monströs schweren Topf mit einer riesenhaften Brombeerstaude. Er überreichte das Gefäß der Ehefrau.

»In diesem speziellen Fall empfehle ich die Maximaldosis«, schnaufte er.

»… Brombeere dient der Wiederherstellung des häuslichen Friedens.«

 

Schmeichelnd umfasste Dr. Ellenbogen Dafnes Handgelenk.

»Darf ich Ihnen vielleicht einmal den Puls fühlen?« Er zog eine goldene Uhr aus der Westentasche. Beide beugten sich über den Zeitmesser und zählten Dafnes Pulsschläge.

»Oh, der wird ja immer schneller!« Dafnes Hand fing an zu beben.

Mattens Ohren standen steif nach oben. Er zitterte vor unterdrückter Wut und sein Blick funkelte zornig. Entschlossen wandte er sich zu der Weberin um:

»Wir tun es heute Nacht  … während der Mittsommerfeier … « 

 

Die Leseprobe endet hier

 

© Ollivia Moore


Verborgene Wesen 3

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